Bildbetrachtung zu: Rembrandt Harmensz. van Rijn, Christus im Garten Gethsemane
(Matthäus 26, 36-39, Markus 14, 32-36 und Lukas 22, 39-44), um 1652
Nachtbegegnung:
Meine Augen wandern über das Bild: Sie bleiben an Dir, Jesus, hängen: Mit geschlossenen Augen kniest Du auf dem Boden.
Es ist die Nacht, in der Du verraten wirst. Du ahnst, weißt, was passieren wird.
Oft wirst Du ja so stark dargestellt. Hier sehe ich Dich schwach. Du kannst Dich alleine nicht auf den Beinen zu halten. Die Bibel erzählt, Du seist „betrübt bis in den Tod“. Verzweifelt und voller Todesangst (Markus 14,24). Du betest: „Gott, nimm diesen Kelch von mir!“ Ob Du Gott antworten hörst?
Drei Freunde sind mit Dir da. Aber sie schlafen. Am Bildrand links sehe ich sie auf dem Boden liegen.
Es tröstet mich, dass Du das kennst, Jesus: Nacht-Momente. Nacht-Gedanken, die völlig unabhängig sind von der Tageszeit. Müdigkeit, Mutlosigkeit, Trostlosigkeit, Sorgen, Einsamkeit, Kraftlosigkeit.
Ich blicke Dich an. Schaue in Dein Gesicht. Merkwürdig: Du wirkst trotz des Dunkels um Dich herum irgendwie gehalten. Dein Gesicht wirkt fast entspannt.
Mein Blick wandert zu dem Engel. Verwundert denke ich: Wo kommt der denn her?
Ich nehme die Bibel zur Hand, lese die Geschichte im Markusevangelium: Nein, kein Engel. Hat Rembrandt beim Malen des Bildes geträumt? Ich suche die Szene im Matthäusevangelium: Auch hier kein Engel.
Bleibt noch das Lukasevangelium. Und, ja: Da ist der Engel: „Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn“ heißt es.
Ich habe diesen Engel immer überlesen. Habe ihn einfach übersehen.
Kannst Du den Engel sehen, Jesus?
Vermutlich nicht, Du hast ja die Augen zu. Aber vielleicht kannst Du ihn spüren: Wie er (oder sie?) vor Dir kniet. Mit Dir auf einer Höhe. Kannst Du spüren, wie er Dich hält? Deine linke Seite stützt und Dir sanft den Arm um die Schulter legt?
Engel sind Botinnen und Boten Gottes. „Du bist gehalten“: Diese Botschaft bringt der Engel hier vom Himmel, von Gott her, verkörpert sie gleichsam.
Manchmal übersehe ich den Engel im Dunkel meiner Nacht, wenn sich Angst und Sorge verdichten.
Aber jetzt gerade sehe ich ihn in Gedanken bei mir knien. Ich schließe die Augen und spüre, wie sich das anfühlt: Gehalten zu werden. Gestützt zu werden. Spüre, wie das ist: Für einen Moment alles loslassen zu dürfen, alle Anspannung, alles Festhalten – weil ich vom Himmel gehalten bin.
Vielleicht zieht mich der Engel noch etwas näher heran, sodass ich den Kopf an seiner Schulter ablegen und mich anlehnen kann.
Nun spüre ich, wie der Engel mir seine Hand zwischen die Schulterblätter legt. Ich richte mich auf, das Atmen fällt leichter.
In Gedanken setze ich den Engel manchmal auch zu anderen. Zu denen, von denen ich weiß, dass sie mit der Nacht ringen: Mit Sorgen, Ängsten, Einsamkeit. Manchmal geht es mir wie diesen schlafenden Freunden: Ich schaffe es nicht, zu wachen. Ich würde so gerne Leid wegnehmen, helfen, umarmen – doch ich kann es nicht. Aber ich setze denen in Not einen Engel zur Seite. So wie der Verfasser des Lukasevangeliums Dir, Jesus, diesen Engel an die Seite gesetzt hat.
Der Engel kann das Leid nicht wegzaubern. Hinter seinem Flügel sieht man auf dem Bild schon die Soldaten herannahen, die Dich verhaften werden. Aber: Du bist vom Himmel gehalten.
Ich erinnere eine Lied von Jochen Klepper. Er betet zu Gott, den er „Du“ nennt: „In jeder Nacht, die mich umfängt, darf ich in Deine Arme fallen. Und Du, der nichts als Liebe denkt, wachst über mir, wachst über allen. Du birgst mich in der Finsternis. Dein Wort bleibt noch im Tod gewiss“. Amen
Pfarrerin Andrea Neß